Ortseinfahrt von Lüchow

Die Ortseinfahrt von Lüchow vor dem Bau des Dorf- und Schulhausprojekts; damals gab es weder Anzeichen für ein funktionierendes Gemeinwesen, noch Infrastruktur – lediglich ein Briefkasten war vorhanden und einmal in der Woche kam der Bus. „Es gibt hier so viel Nichts, wo man etwas Neues aufbauen kann“, nennt Johannes Liess einen der Gründe, warum er gerade Lüchow als neuen Lebensmittelpunkt gewählt hat. Foto: LandLuft

Ein Experiment mit offenem Ausgang

Lüchow

Mecklenburg-Vorpommern

Lüchow ist der kleinste Ortsteil der mecklenburgischen Gemeinde Altkalen. Das Dorf wäre beinahe aufgegeben worden, denn 2003 lebten nur noch fünf Einwohner ganzjährig im Ort.

Der Architekt Johannes Liess hatte schon als Student gemeinsam mit seinen Geschwistern begonnen, ein verfallenes Haus zu renovieren, um die Wochenenden und Ferien in Lüchow zu verbringen. Vor etwa zehn Jahren entschieden er und seine Frau, mit ihren Kindern ganz nach Lüchow zu ziehen und dort den Schritt in die berufliche Selbständigkeit zu wagen. U.a. durch die Gründung einer Schule ist es gelungen, gemeinsam mit Freunden, Verwandten und Zugezogenen einen Prozess zur Wiederbelebung des strukturschwachen Dorfes einzuleiten. Nach und nach kamen junge Familien hinzu, die ihre Kinder in die am Waldorfkonzept orientierte Privatschule schicken wollten. Innerhalb von vier Jahren wuchs der Schulbetrieb von vier auf dreißig Schüler an, bis das Bildungsministerium 2011 die Schließung der Schule verfügte. Lüchow ist kein Einzelfall einer privaten Schulgründung, denn als nach der Wende viele öffentliche Schulen geschlossen wurden, entstanden in Mecklenburg-Vorpommern zahlreiche private Schulvereine, die mit den öffentlichen Schulen um Schüler konkurrieren.

Über einen Zeitraum von zehn Jahren hat sich Lüchow zu einem Anziehungspunkt für Menschen entwickelt, die am Land leben wollen und an der gemeinschaftlichen Organisation des Zusammenlebens interessiert sind (etwa beim Kochen und Einkaufen, bei der Kinderbetreuung, im Gemüseanbau und im Freizeitprogramm). Heute hat Lüchow bereits fünfzig Einwohner und es gibt im Ort kaum noch leerstehende Häuser. Anstelle einiger bestehender landwirtschaftlicher Bauten wurden ein Dorfhaus (als sozialer Mittelpunkt mit Gemeinschaftsküche und Kindergarten), das Schulhaus und eine Werkstatt errichtet. Beim Bau half eine Gruppe von Wandergesellen mit, die mehrere Wochen in Lüchow campierten. Da die fünfzig Wandergesellen versorgt werden mussten, kostete das zwar nicht weniger als professionelle Handwerker, war dafür aber ein für alle Beteiligten einprägsames und wertvolles Erlebnis. 

Lüchow ist eines der Beispiele, wo das Engagement für Baukultur nicht von der kommunalen Verwaltung getragen wird, sondern in diesem Fall von engagierten und gebildeten Zuzüglern, die in einer ländlichen Region einen Neubeginn wagen und dabei das Zusammenleben im Dorf umfassend gestalten wollen. Jürgen Aring verwendet dafür den Begriff des Selbstverantwortungsraums. Er plädiert dafür, auf räumliche Unterschiede mit differenzierten Regularien zu reagieren und mehr lokale Selbstbestimmung nicht nur zu ermöglichen, sondern zu erzwingen und eine rechtliche Basis dafür zu schaffen. Ein nicht unumstrittenes Unterfangen, denn die Verankerung von Selbstverantwortungsräumen würde mit der Garantie der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse brechen. In Lüchow werden die Herausforderungen und Widersprüche sichtbar, die damit sowohl für die Bürgerinnen und Bürger als auch für die Verwaltung verbunden sind.

 

Schulgebäude

Bei dem vom Büro Liess geplanten neuen Schulgebäude wurde wie auch bei den anderen Neu- und Umbauten besonderes Augenmerk auf die Großzügigkeit der Räume und auf die Wahl der Materialien gelegt. Verwendet wurden Ziegel, Holz, Lehm, Kalk und Glas. Fotos: LandLuft